Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Psychopharmaka und Behandlungsauftrag

Psychopharmaka und Behandlungsauftrag

Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Psychiaterinnen und Psychiater haben die Aufgabe, ihre Patientinnen und Patienten über den Nutzen und die Risiken einer Behandlung mit Psychopharmaka, wenn sie als inzidiert angezeigt ist, zu beraten und aufzuklären. Die Entscheidung zur Behandlung mit Psychopharmaka wird vom Patienten/von der Patientin (im Sinne der willentlichen Volition) getroffen.

Verschiedene Haltungen bei Patientinnen und Patienten gegenüber Psychopharmaka können im beruflichen Alltag angetroffen werden. Bei einigen kann der Wunsch, eine psychische Symptomatik mit Psychopharmaka „zu beseitigen“, bestehen. Eine weitere Haltung kann eine Skepsis oder Ablehnung gegenüber Medikamenten sein. Dies kann aus der Befürchtung kommen, emotional sediert oder betäubt zu werden und einen Kontakt zu den eigenen Gefühlen zu verlieren, aber auch der Wunsch, „es aus eigener Kraft hinzubekommen“, kann anzutreffen sein.

Die Ablehnung von Psychopharmaka kann auf der Hoffnung von Patientinnen oder Patienten beruhen, dass das Erreichen eines besseren Wohlbefindens über eine Entwicklung von Fähigkeiten in der Emotionskompetenz, Wahrnehmungsreflexion und der Bearbeitung vergangener Themen möglich ist.

Auch das Ziel, langfristig mit oder ohne Psychopharmaka zurechtzukommen, darf in der Psychotherapie thematisiert werden. So können einerseits realistisch Schritte geplant, und falls eine Reduzierung anvisiert wird, im begleiteten psychotherapeutischen Kontext beobachtet und geprüft werden, in welchem Rahmen die in der Therapie erreichten Fortschritte bestehen bleiben und entwickelte emotionale Kompetenzen der Patientin oder dem Patienten ausreichend ermöglichen, das Wohlbefindensniveau herbeizuführen und zu erhalten.

Es lohnt sich, in jedem Falle zu reflektieren, welche Beweggründe bei den Patientinnen oder Patienten vorliegen. Das Commitment einer Medikamenteneinnahme beeinflusst, ob und wie die Patientin bzw. der Patient diese im ambulanten Kontext etwa nach einem stationären Aufenthalt weiter einnimmt oder sie „unbeobachtet“ ausschleicht. Auch der eigene Anspruch, ohne Psychopharmaka leben zu wollen, „selbst seine Psyche“ hinzubekommen, sollte respektvoll besprochen werden. Etwaige Nebenwirkungen sind zwar ein unangenehmes Thema für die Behandlung, jedoch kann etwa eine Gewichtszunahme oder der Libidoverlust bis hin zu Funktionsstörungen auch ein spontanes Absetzen herbeiführen, insbesondere, wenn eine Partnerschaft im Raum steht.

Das Erleben von Nebenwirkungen oder auch das von Habituationseffekten wird Patientinnen und Patienten beschäftigen. Im Gespräch sollten daher psychotherapeutisches Wissen, psychiatrische Empfehlung und die Haltung einer Patientin oder eines Patienten zusammentreffen. Langfristig ist wohl das treffendste Argument, dass eine Patientin bzw. ein Patient eine gute Verantwortungsübernahme für das eigene Leben, eine Therapiemotivation und ein Commitment entwickeln kann, wenn sie oder er voll hinter dem Behandlungsplan steht.

Zu welchem Zeitpunkt und wie ein Psychopharmaka reduziert werden kann, kann mit folgenden hilfreichen, von uns für Sie zusammengestellten Informationen besser geplant werden. Und auch, wer sich über verantwortungsvolle Realisierung zum Ausschleichen von Medikamenten, z. B. Neuroleptika und Antidepressiva, informieren möchte, findet hier wichtige Hinweise.

Einschränkungen der Selbstbestimmung

Es kann Fälle geben, bei denen die Selbstbestimmung Einschränkungen unterliegt. Wolfersforf & Schüler (in „Ethische Entscheidungssituationen in Psychiatrie und Psychotherapie, S.148) nennen psychiatrisch-psychopathologische Kriterien wie die Entscheidungsunfähigkeit, die pseudo-altruistisch positive Besetzung der Selbsttötung und Weitere für das Vorliegen der eingeschränkten Selbstbestimmung. Allerdings müsste, um zu einer solchen Einschätzung zu gelangen, der Zustand des Menschen abgeklärt werden.

Nach Schramme (2016, S. 147–160) sind sich die meisten Patientinnen und Patienten bewusst, welche Entscheidung für ihr Wohlergehen richtig ist. Therapeutinnen und Therapeuten können aus ihrem Ermessen heraus eine Nutzen-Risiko-Abwägung ziehen, sie können jedoch nicht wissen, wie das intraindividuelle Wohlergehen der Patientin bzw. des Patienten aussieht. Wird dies bedacht, sollte die Einwilligung in eine medikamentöse Behandlung nicht wie die Aufklärung über die verschiedenen Therapieverfahren inklusive der jeweiligen Vor- und Nachteile sowie Alternativen erfolgen? Dies kann den Patientinnen und Patienten Sicherheit geben, schließlich befinden sie sich in einer für sie sehr kritischen Situation. Vielleicht erfolgt nach dem ersten Termin und einer Aufklärung über die Möglichkeiten einer Therapie auch die Einwilligung in eine medikamentöse Therapieform, vor allem aber können die akute Suizidgefahr eingeschätzt und ein mögliches weiteres Vorgehen mit ihnen besprochen werden. Dies rettet im Zweifelsfall ein Leben. In diesem Zusammenhang ist das Buch „Ethische Entscheidungssituationen in Psychiatrie und Psychotherapie empfehlenswert, da es verschiedene Szenarien abdeckt bis hin zur Patientenverfügung bei an Demenz Erkrankten. Informativ ist auch der Hinweis auf geltende Patientenrechte und das Patientenrechtegesetz.

Ethische Verantwortung und Patientenandrang

Instabile Menschen sollten eine Behandlung erhalten können, unabhängig von ihrem Interesse gegenüber Medikamenten. Es ist angesichts aktuell hoher Zahlen von hilfsbedürftigen Patientinnen und Patienten nicht leicht zu realisieren und zu entscheiden, welche Patientin oder welcher Patient einen Therapieplatz in Kliniken, Praxen oder Institutsambulanzen erhalten soll. Gleichzeitig ist die Behandlung von instabilen Menschen erforderlich, auch wenn diese für sich entscheiden, keine Psychopharmaka einzunehmen.

Das Erkennen der Suizidalität eines Menschen ist eine Kernaufgabe der Psychotherapie (medizinisch-psychosoziales Paradigma) und stellt für die Behandelnden einen psychiatrischen Notfall dar (Wolfersdorf, Etzersdorfer, 2011). Suizidprävention ist eine psychiatrische Verpflichtung, die nicht vom Vorliegen einer psychischen Erkrankung abhängt (Wolfersforf & Schüler, 2015). Psychotherapeutinnen und -therapeuten sollte daher jegliche Suizidäußerung ernst nehmen und eine Krisenintervention einleiten (Lieb, Frauenknecht, 2019), denn nach Arolt, Reimer und Dilling (2006) beträgt das Verhältnis zwischen Suizid und Suizidversuch 1:10 mit einer höheren Dunkelziffer. In einigen Fällen kann zur Suizidverhütung eine stationäre Aufnahme erforderlich sein.

Um zu verhindern, dass diese Situation entsteht…

wäre es wichtig, dass ambulante Therapeutinnen und Therapeuten sowie Institutsambulanzen akut-krisenbelasteten Menschen eine Psychotherapie ermöglichen – ganz unabhängig von der Haltung der Patientinnen bzw. Patienten gegenüber Medikamenten, denn ihre Behandlungsbedürftigkeit ist an deren Zustand festzumachen.

Eine Ablehnung dieser Patientinnen bzw. Patienten stünde im in mehreren Punkten im Widerspruch zu den berufsethischen Richtlinien, insbesondere Punkt 2.3 Verantwortung und Punkt 2.1 dem Recht auf Selbstbestimmung.

 

Isa Julgalad