Vision 2015: Essentials der psychotherapeutischen Versorgung
"Wie das Gesundheitssystem von morgen aussieht, hängt auch von den Vorschlägen der Psychotherapeuten ab." schreibt die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in ihrem Aufruf an die Psychotherapeutenschaft, ihre Vorstellungen zum Gesundheitssystem der Zukunft zu formulieren.
Der VPP-Bundesvorstand hat seine "Vision 2015" formuliert. Wesentliche Kernaussagen sind:
Es ist ethisch, allen Menschen einen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Das fördert den sozialen Frieden und damit die innere Sicherheit. Das Solidarprinzip der Gesetzlichen Krankenkassen trägt dazu bei. Marktwirtschaftliche oder neoliberale Konzepte für die Gesundheitsversorgung, die Aufweichung des Sicherstellungsauftrags gefährden dieses Ziel. Patienten sind keine Kunden und Krankheit keine Ware, auch wenn der Gesundheitsmarkt ein "Markt" ist und viel Geld bewegt. Zugang zur Gesundheitsversorgung wird als Menschenrecht betrachtet und nicht vom Einkommen der Menschen abhängig gemacht. Sehr wohl können aber Forderungen gestellt werden, sowohl an den Nachweis der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung als auch an die Mitarbeit der Patientinnen und Patienten und die Vermeidung von Gesundheit gefährdendem Verhalten. Hier wiederum können Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nützlich sein darin, Menschen zu gesundheitsförderndem Verhalten zu bewegen oder Programme dafür zu entwickeln.
Im Einzelnen bedeutet dies:
- Leistungserbringer und Kostenträger verhandeln auf der Basis einer morbiditätsorientierten Bedarfsplanung über eine patientengerechte und wirtschaftliche Versorgung. Der Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung aller Patientinnen und Patienten ist sichergestellt.
- Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten gleichberechtigt mit Ärzten im Bereich der Versorgung psychisch kranker Menschen. Psychische Störungen werden in einem psychotherapeutischen Behandlungskonzept behandelt, auch wenn die Behandlung andere Maßnahmen außer der reinen Psychotherapie, wie z.B. medikamentöse Behandlung, beinhaltet.
- Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nehmen auch teil an der Akutversorgung psychischer Störungen. Psychotherapeuten können ggfs. die Bereitschaft der Patienten zu einer längerfristigen psychotherapeutischen Behandlung fördern und damit einer Chronifizierung psychischer Erkrankungen entgegenwirken.
- Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten in Strukturen der integrierten Versorgung, die es ermöglichen, Patienten in akuten Krisen stationär aufzunehmen und die stationäre Behandlung zu begleiten. Psychotherapeuten in MVZ ermöglichen eine engmaschige psychotherapeutische Behandlung von PatientInnen, sodass stationäre Aufenthalte vermieden werden können.
- Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten primär in den Versorgungsstrukturen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, aber auch im Bereich der Jugend- und Sozialhilfe, der Schulpsychologischen Dienste und Erziehungsberatungsstellen, der Notfallversorgung, der Straffälligenhilfe oder in den Strukturen des Justizvollzugs in ambulanter und in stationärer und teilstationärer Versorgung.
- In allen Einrichtungen, in denen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten arbeiten, können sie auch Leitungsfunktion oder Case-Management übernehmen.
- Studium, Psychotherapieausbildung, Fort- und Weiterbildung befähigen die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, in den jeweiligen Arbeitsbereichen im ambulanten und stationären Sektor eine angemessene psychotherapeutische Versorgung zu gewährleisten. Die PT-Ausbildung erfolgt in wissenschaftlich begründeten PT-Verfahren und -Methoden und fördert primär die Identität der Psychotherapeuten in ihrer Rolle als Psychotherapeuten.
- Die Forschung weist den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der Psychotherapie nach zum Nutzen und zum Schutz der Patienten und als Argument ggü. den Kostenträgern. Dabei hat die "Feldforschung" einen großen Stellenwert. Die Forschung ermöglicht auch Neuentwicklungen und zwar breit gefächert, nicht eingeengt auf ein oder zwei Paradigmen. Die Forschung agiert frei von kurzfristigen Kostenträgerinteressen im Sinne einer guten Behandlung psychischer Störungen.
- Die Landespsychotherapeutenkammern leisten die Berufsaufsicht auf regionaler Ebene, um damit die Qualität der Berufsausübung und das Ansehen der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu bewahren. Sie unterstützen die Kammermitglieder entsprechend durch Beratung und Fortbildung. Sie vertreten auch die Kammermitglieder politisch in ihren Interessen ggü. Politik, Verwaltung und evtl. Kostenträgern. Sie arbeiten daran, die psychotherapeutische Versorgung zu erhalten und zu verbessern. Sie können durch Mitarbeit in Neuen Versorgungsformen die Beteiligung der Psychotherapeuten an der Gesundheitsversorgung sichern und die psychotherapeutische Versorgung für die Menschen erhalten und fördern. Sie gestalten das Gesundheitssystem mit und weisen auf mögliche Konsequenzen für die psychotherapeutische Versorgung hin und arbeiten mit an Forschungskonzepten und -vorhaben im Bereich der Psychotherapie.
- Berufs- und Fachverbände vertreten die spezifischen Interessen ihrer jeweiligen Mitgliedschaft und stellen in den Kammern so etwas wie "Parteien" dar. Außerhalb der Kammern sind sie ebenfalls politisch aktiv und können teilweise beweglicher sein als die Kammern mit ihrer "Amtfunktion". Sie vertreten die Interessen der Psychotherapeuten ggü. der Politik, Verwaltung und den Kostenträgern. Sie arbeiten mit an Forschungskonzepten und -vorhaben. Sie führen ggfs. - falls sich das selektivvertragliche System zunehmend durchsetzt - auch Verhandlungen mit Kostenträgern über Leistungserbringung im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung. Sie unterstützen ihre Mitglieder durch Praxishilfen, Rechtsberatung u.ä.
- Der Gesetzgeber schafft den Rahmen für eine gute psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung. Dazu gehört eine morbiditätsorientierte Bedarfsplanung. Der Gesetzgeber gestaltet die Ausbildung zum Psychotherapeuten erschwinglich, damit der Beruf nicht ausstirbt und die psychotherapeutische Versorgung in der Zukunft gesichert werden kann. Die Psychotherapie-Richtlinien sind dahingehend verändert, dass alle wissenschaftlich begründeten Psychotherapieverfahren und -methoden, die in der Aus-, Fort- und Weiterbildung gelernt wurden, auch bei Krankenkassenpatienten angewandt werden können.
- Im Bereich der stationären Versorgung ist dafür zu sorgen, dass die Behandlung psychischer Störungen mit den Mitteln der Psychotherapie als Akutbehandlung anerkannt ist und dass die Behandlung auch eigenverantwortlich von Psychotherapeuten durchgeführt werden kann.
Psychotherapeuten verordnen im Bedarfsfall auch Heilmittel und bescheinigen Arbeitsunfähigkeit oder stellen Überweisungen oder Einweisungen aus. Psychotherapeuten werden am konsiliarärztlichen Dienst der somatischen Krankenhäuser beteiligt und dabei den Fachärzten in ihrer Funktion gleich gestellt.
Eva Schweitzer-Köhn
Hans-Werner Stecker
Heinrich Bertram