Neues im GKV-OrgWG: Halbe Vertragsarztsitze, Quotierung, Wegfall der Altersgrenze
Die Fortschreibung des Reformprozesses der gesetzlichen Krankenversicherung zwingt fast täglich jeden im System - gleich ob Versicherte/r oder Leistungserbringer -, neue Überlegungen und Bewertungen anzustellen. Der Deutsche Bundestag hat am 17. Oktober 2008 in dritter Lesung das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) in der Fassung der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses vom 15.10.2008 verabschiedet. Daraus ergeben sich zum Jahreswechsel 2008/2009 folgende Neuerungen:
1. Hälftige Zulassung:
Eine Unklarheit ist beseitigt worden, die seit Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes
(VändG) bestanden hat. Strittig war, ob auch hälftige Vertragsarztsitze
ausgeschrieben werden können. Insbesondere die KBV und die KVen hatten
sich dagegen ausgesprochen. Nun aber wurde in § 103 Abs.4 SGB V (Ausschreibung
von Vertragsarztsitzen) folgender Satz 2 eingefügt:„Satz 1 gilt
auch bei hälftigem Verzicht oder bei hälftiger Entziehung der Zulassung.“ Damit
ist klargestellt, dass der halbe Vertragsarztsitz in einem Planungsbereich,
für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auch bei hälftigem
Verzicht oder bei hälftiger Entziehung der Zulassung ausgeschrieben
werden muss.
So kann sich nun die Zahl der Psychologischen Psychotherapeutinnen, der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen, der psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen innerhalb der zulassungsbeschränkten Versorgung (Kollektivvertrag KV) theoretisch verdoppeln. Gleiches gilt für alle anderen Arztgruppen. Besonderheit im Bereich der psychotherapeutisch Tätigen: Der Fachgruppendurchschnitt liegt nur gering über der Hälfte der Menge, die das Bundessozialgericht theoretisch als voll ausgelastete Praxis und in der Folge der Gemeinsame Bundesausschuss als Zeitkontingent für jede Praxis (nicht als RLV!) festgestellt hat.
Wenn nun alle diese Kolleginnen und Kollegen ihren Praxissitz hälftig ausschreiben, im gleichen Umfang wie bisher tätig bleiben würden, könnte ihre ausgeschriebene „zweite Hälfte“ die abgerechnete Leistungsmenge um jeweils die Hälfte einer Praxis ausweiten. Gewinner: die Versicherten, für die sich Wartezeiten verringern ließen und junge Kolleginnen und Kollegen, für die der „Markt“ oder der „Arbeitgeber“ KV sich bundesweit wieder öffnet. Da es sich aber in diesen Fällen nicht um eine Erweiterung der Zahl der Praxissitze handelt, ist es wahrscheinlich leider nicht strittig, woher das Geld für diese Mengenausweitung kommen soll: nämlich nicht aus den für neue Praxissitze vorgeschriebenen Rückstellungen, sondern aus dem so genannten Psychotherapietopf. Im letzteren Fall müssten letztendlich die Honorare für die genehmigungspflichtigen Leistungen neu verhandelt werden. Ausgang, euphemistisch geschätzt: offen.
Bisher scheint es so auszusehen, dass der Interessenausgleich zwischen Patientenversorgung, angemessener Vergütung und Öffnung für junge Kollegen ausschließlich durch die Fachgruppe selbst erfolgen und getragen werden soll. Das ist letztendlich nicht hinnehmbar. Denn alle Interessen sind versorgungsmäßig notwendig und keine unzulässige Ausweitung der Leistungsmenge!
2. Quotenregelung
Anders sieht es bei den Sitzen aus, die nach der - wenn auch modifiziert
(neu: Quote für KJP 20%) und reduziert (auf 25 %) - fortlaufenden Quotenregelung
für den Ausgleich der psychotherapeutisch tätigen Ärzte und
Psychologischen Psychotherapeuten neu ins Kollektivvertragssystem kommen.
Deren Leistungen müssten aus den Rückstellungen vergütet werden,
so die Verhandlungsposition des VPP und der mit ihm kooperierenden Verbände.
Erste Gesprächserfahrungen zeigen, dass dieses geduldiges Überzeugungsverhalten
erfordert. Das gleiche gilt für die Sitze, die nach der erstmals erstellten
Quotenregelung für die Versorgung der Kinder und Jugendlichen (Anteil
der KJP an der Gesamtzahl der PPTs: 20 %) hinzukommen werden. Das sind bundesweit
ersten Schätzungen zufolge möglicherweise
800 Praxissitze.
Der VPP begrüßt diese Verbesserung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Kinder und Jugendlichen ausdrücklich und fordert, dass die vom Gesetzgeber gewollte Verbesserung nicht zu Lasten der Honorierung der Leistungen der bisherigen Leistungserbringer erfolgt. Der VPP findet es bedenklich, wenn die Umsetzung dieser Quotenregelung starr an den bisherigen Verteilungen der Praxissitze orientiert würde und damit die Spreizung zwischen gut und extrem mangelhaft versorgten Gebieten festgeschrieben würde. Sinnvoll wäre, die Sitze in den am meisten unterversorgten Gebieten anzusiedeln. Die Daten der KVen bieten dazu hinreichend Material.
3. Wegfall der Altersgrenze
Die Altersgrenze für Vertragsärzte und -psychotherapeuten (bisher:
68 Jahre) ist zum 1.1.2009 gestrichen worden. Psychotherapeuten, die 2008
ihren 68. Geburtstag feierten, können die Übergangsregelung (rückwirkend
zum 1.10.2008) in Anspruch nehmen, sofern die Nachbesetzung der Praxis noch
nicht abgeschlossen ist. Dies entspricht in vielem vernünftiger
psychotherapeutischer Arbeit: Abschlüsse sind selten punktgenau in großer
Anzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichen. Der Übergang aus
der Praxis kann fließend gestaltet werden, vor allem, wenn der Wegfall
der Altersgrenze mit der Möglichkeit zur Teilzulassung kombiniert wird.
Eingeführte Praxen können unproblematischer an jüngere Kollegen
weitergegeben werden. Problematisch ist der Wegfall der Altersgrenze aber
dann, wenn viele Kollegen, deren Altervorsorge nicht ausreichend ist, an
ihrer Zulassung festhalten werden. Jüngere Kolleginnen und Kollegen
blieben dann ausgeschlossen. Sicher kein Gewinn für die Versorgung und
den Interessenausgleich unter den Kollegen!
4. Begrenzung auf 2009
Alle Vergütungsvereinbarungen, die bisher zu aller „Freude“ erreicht
wurden, gelten ausschließlich für 2009. Bislang wird so gerechnet,
dass die für die Psychotherapie zusätzlich zur Verfügung gestellten
160 Millionen im Jahr 2009 reichen müssten, um die neuen Honorare (€ 81,03
für genehmigte Therapie) auszuzahlen. Sollte
aber durch Teilzulassungen und Mehrabrechnung vor allem auch der ärztlichen
Kollegen, die nicht vollzeit psychotherapeutisch tätig sind und
die mit Psychotherapieleistungen ihr RLV aufstocken können, die Leistungsmenge
im Vergleich zu 2007 erheblich ausgeweitet werden, könnte das eng werden.
Dennoch: keine Leistung und kein Leistungserbringer ist auch nach Erweiterung
zu viel im System, denn der Abbau der nicht hinnehmbaren Wartezeiten ist
mehr als überfällig.
Uschi Gersch
Mitglied im Vorstand des VPP im BDP
5.11.208