Das BSG (Az.: B 6 KA 22/09 R) entschied am 23.6.10, dass eine Sonderbedarfszulassung grundsätzlich auch unter Hinweis auf eine qualitative Unterversorgung möglich ist, also nicht nur wie es bislang herrschende Meinung war auf lokale Unterversorgung (trotz bedarfsplanerisch festgestellter sog. regionaler Überversorgung). Bislang herrschte der Einwand, die Sonderbedarfszulassung wegen qualitativer Unterversorgung sei auf ärztliches Weiterbildungsrecht gemünzt und ließe sich nicht auf Psychotherapeuten anwenden.
Im vorliegenden Fall hat eine Psychotherapeutin versucht, den Sonderbedarfszulassungsantrag u.a. damit zu begründen, dass im betreffenden Planungsbezirk weitgehend nur Verhaltenstherapie angeboten werde, während in Hinblick auf das von ihr geplante Angebot analytischer Psychotherapie qualitativ Unterversorgung bestehe. Das BSG entschied entgegen der unterinstanzlichen Entscheidungsebenen, dass dieser vorgetragene Sachverhalt überprüft werden müsse: Es könne im Falle des Bedarfs nach psychoanalytischen Behandlungen nicht auf verhaltenstherapeutische Angebote verwiesen werden, so die Pressemitteilung des BSG (die Urteilsgründe stehen noch aus). Außerdem entschied das BSG, dass der Berufungsausschuss eingehender prüfen müsse, ob ein Landkreis großräumig ist, was für die Feststellung einer lokalen Unterversorgung von Bedeutung ist. Ferner wiederholte das BSG, dass der Berufungsausschuss nicht den Einwand erheben könne, der Bedarf werde von Versorgungsangeboten gedeckt, die 25 km entfernt sind.
Obwohl man die Auswirkungen des Urteils nicht überschätzen sollte,
ist es doch bemerkenswert. Während im Falle nicht gesperrter bzw. entsperrter
Gebiete ein Zulassungsantrag nach hiesiger Auffassung mangels rechtlicher Grundlage
nicht damit abgelehnt werden kann, es gäbe zu wenig Behandler mit einem
anderen Richtlinienverfahren, soll nun bei qualitativer Unterversorgung hinsichtlich
eines Therapieverfahrens das Korrektiv der Sonderbedarfszulassung zumindest theoretisch
hinzukommen. Es bleibt natürlich abzuwarten, ob in der Urteilsbegründung
eine Konkretisierung zu finden sein wird, nach welchen Kriterien und inwieweit
ein Bedarf für analytische Psychotherapie im Unterschied zu anderen Richtlinienverfahren
besteht. Auch wurde dieser Rechtsstreit zurückverwiesen, so dass das endgültige
Ergebnis noch offen bleibt. Trotzdem ist eine leichte Steigerung der Psychotherapeutenzahl
trotz sog. Überversorgung nicht ausgeschlossen.
Schon einmal hat das Korrektiv der Sonderbedarfszulassung mit dazu beigetragen,
dass der Druck auf die Korrektur gesetzlicher Mängel erhöht wurde,
nämlich bei der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen.
Vielleicht erhöht auch dieses Urteil ein wenig den Druck angesichts fast
bundesweiter Gebietssperrungen bei gleichzeitig nicht abklingender Klage über
zu lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz.
Jan Frederichs
Anmerkung des VPP:
Damit könnte die ungleiche Verteilung der Psychotherapieverfahren in
Deutschland, die kürzlich von
der TK moniert wurde geändert werden. Die Krankenkassen können selbst darauf hinwirken,
denn Krankenkassenvertreter sind in den Zulassungsgremien paritätisch vertreten.
Zusätzliche Zulassungen von PsychotherapeutInnen sind notwendig, wie die
Wartezeiten auf Behandlungsplätze immer noch belegen. Zusätzliche Zulassungen
dürfen aber nicht zulasten der bestehenden Praxen gehen, d.h. das Budget
muss aufgestockt werden, da der ‚Psychotherapie-Topf‘ immer auf der
Basis der Leistungserbringung vergangener Jahre berechnet wird. Die zusätzlichen
Kosten müssen von den Krankenkassen getragen werden, so wie für die
zusätzlichen Sitze für KJP und für voraussichtliche Mengenausweitung
durch Abgabe halber Praxissitze für dieses Jahr 40 Mio. € zusätzlich
für die genehmigte Psychotherapie bereitgestellt wurden.
Eva Schweitzer-Köhn
5.7.2010