LFV Baden-Württemberg
Stellungnahme des VPP im Berufsverband Deutscher Psychologen zum Selektivvertrag PNP
Mit großem Werbeaufwand wird in Baden-Württemberg gegenwärtig ein Selektivvertrag verbreitet, der die Versorgung psychisch Kranker verbessern will. Wie so oft, steckt jedoch der Teufel im Detail. Deswegen lohnt es sich genauer hinzuschauen: Der Selektivvertrag PNP, der am 10. Oktober in Baden-Württemberg unterzeichnet wurde, lockt die Therapeuten mit höherem Honorar und die Patienten mit angeblich schnellerer Versorgung.
Wo aber sollen – beim herrschenden Psychotherapeutenmangel – die für diese versprochene bessere Versorgung notwendigen Therapeuten herkommen? Das verschweigen die Vertragsunterzeichner, denn diese gibt es nicht. Die Anzahl der zugelassenen Behandler erhöht sich nämlich durch den Vertrag allenfalls durch Jobsharing, ohne nennenswerte Auswirkung auf die Gesamtzahl. Stattdessen wird innerhalb der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft Konkurrenz gesät. Die Therapeuten sollen mit diesem Vertrag zur Bevorzugung der jeweiligen Kassenmitglieder verpflichtet werden. Wie mit gleich bleibender Therapeutenanzahl das aktuelle Problem des Therapeutenmangels behoben werden kann, bleibt ein Geheimnis.
Ein Geheimnis bleibt auch, wie mit dem gleichen Geld (denn die Gelder für den Selektivvertrag werden dem Kollektivvertrag abgezogen) auf längere Sicht eine für die Therapeuten verbesserte Honorierung erreicht werden soll. Und nicht zu vergessen: Mit diesem knappen Geld muss sogar zusätzlich ein neuer Verwaltungsapparat bezahlt werden. Da legt sich der Verdacht nahe, dass hier nur Konkurrenz im System entfacht werden wird. Als Psychologen können wir vor solchen Formen eines ungesunden Wettbewerbs nur warnen:
Aus Experimenten der Tierpsychologie ist bewiesen: Wer in einem geschlossenen
System Wettbewerb erzeugt, der erzeugt Stress und keine Vorteile für die
Beteiligten. Diese Ergebnisse sind übertragbar:
Gesunder Wettbewerb verlangt immer offene Systeme, in denen Wachstum und Ausbreitung
möglich ist. Wettbewerbsverschärfung im geschlossenen System macht
krank. Das heißt für das Gesundheitssystem: Solange die Gesamtgeldmenge – per
Politik – konstant gehalten werden soll und der Wettbewerb sich alleine
aufs Sparen beziehen soll, kann daraus nichts Gutes werden.
Ohne Zweifel bringt der Selektivvertrag Dynamik in ein System der psychotherapeutischen Versorgung, das an vielen Stellen reformbedürftig ist. Dieser Selektivvertrag jedoch nutzt die Schwachstellen als Köder für einen Vertrag, der die Psychotherapie in ihren Wesenszügen beschädigen könnte:
Die drei Schwachstellen des Kollektivvertragssystems, die ausgenutzt werden, sind:
Wir würden ausdrücklich begrüßen, wenn der Selektivvertrag diese Schwachstellen beseitigen würde. Aber stattdessen spaltet er den Zusammenhalt der Psychotherapeuten und schafft Abhängigkeiten, die nicht hinnehmbar sind:
Zusammenfassend:
Die Inhalte des vorliegenden Vertrages sind – nach unserer von der Wissenschaft
der Psychologie her begründeten Auffassung – für die psychotherapeutische
Arbeit insgesamt nicht förderlich. Wir würden es daher sehr begrüßen,
wenn sich alle Psychotherapeuten für die notwendigen Reformen im Kollektivvertragssystem
einsetzen würden und nicht durch Sonderverträge in die Gefahr bringen,
die psychotherapeutische Versorgung zu zersplittern.
Rainer Mannheim-Rouzeaud
Vorsitzender des Landesfachverband Baden-Württemberg
28.10.2011