Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Bericht "Praxisauslastung – Überprüfung der Versorgungsaufträge: Konsequenzen und Möglichkeiten“ am 25.09.2019 in Berlin

Hintergrund (Homepage der Psychotherapeutenkammer Berlin – PTK Berlin): Am Mittwoch, den 25.09.2019 fand in der International Psychonanalytic University IPU eine Veranstaltung des "Ausschusses Versorgung" zur Prüfung der Auslastung aller ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen durch die die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin), wie auch bundesweit alle anderen KVen, statt. Die Prüfung erfolgt gemäß den Änderungen durch das TSVG (SGB V § 95, Absatz 3) nach bundeseinheitlichen Kriterien. Auf Grundlage des Gesetzes sind Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen zur Versorgung im Umfang des eigenen Versorgungsauftrages verpflichtet. Für Kassensitze mit einer zu geringen Auslastung kann dies den Entzug des hälftigen oder eines Viertels des Versorgungsauftrages oder, bei sehr geringer Auslastung, den Entzug des ganzen Kassensitzes zur Folge haben. Zugleich kommen auf 3,4 Mio. Menschen gerade einmal um die 2.000 Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen und in Berlin gibt es sogar mehr psychisch Kranke als im Bundesdurchschnitt. Und auch die neu geplante Bedarfsplanung verspricht keine positiven Aussichten für Berlin, das mit dem Verlust von psychotherapeutischen Kassensitzen rechnen muss. Über 400 Mitglieder kamen, um sich darüber zu informieren, wie Sie Ihren Sitz sichern und zu der Aufrechterhaltung der aktuellen Versorgungslage in Berlin beitragen können.

Überprüfung der Versorgungsaufträge nach § 95 Abs. 3 SGB V
Eine Zusammenfassung/Erläuterung des Vortrags von Eva Schweitzer-Köhn, stellvertretende Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Berlin.
Die (KV Berlin) erfüllt mit der Überprüfung der Versorgungsaufträge ihre gesetzliche Pflicht nach § 95 Abs. 3 Satz 4 SGB V: „Die Einhaltung der sich aus den Sätzen 1 und 2 ergebenden Versorgungsaufträge sind von der Kassenärztlichen Vereinigung bundeseinheitlich, insbesondere anhand der abgerechneten Fälle und anhand der Gebührenordnungspositionen mit den Angaben für den zur ärztlichen Leistungserbringung erforderlichen Zeitaufwand nach § 87 Absatz 2 Satz 1 zweiter Halbsatz, zu prüfen.“ Ziel sei es, „sicherzustellen, dass Vertragsärztinnen, Vertragsärzte und Medizinische Versorgungszentren in dem ihnen vorgegebenen Umfang zur Versorgung der Versicherten zur Verfügung stehen“ (BR-Drs. 641/1/14). Die KV Berlin hat die Einhaltung der Versorgungsaufträge im Rahmen eines datengestützten Auffälligkeitsscreenings anhand der Prüf- und Kalkulationszeit, der Fallzahl/Quartal sowie der gemeldeten Sprechstundenzeiten/Woche überprüft.

Ein voller Versorgungsauftrag (bei geringerem Versorgungsauftrag bzw. Beschäftigungsumfang entsprechend weniger) gilt danach als erfüllt, wenn:

  • Die Prüf- oder Kalkulationszeit mindestens 204 Stunden im Quartal beträgt oder
  • die Fallzahl im Quartal mindestens 75% der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe betragen beträgt oder
  • mindestens 20 Stunden Sprechzeit in der Woche gemeldet worden sind.

In Berlin ergibt sich für das Jahr 2017 hierbei eine Erfüllung des Versorgungsauftrags von 91,92% (2.298 PT geprüft) und für das Jahr 2018 eine Erfüllung von 96,07% (2.620 PT geprüft).
Dies gilt für die Prüfzeiträume ab Quartal 1/2017. Für künftige Prüfzeiträume ab dem Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) am 11.05.2019 werden jedoch andere Kriterien gelten:

  • Mindestsprechzeitenangebot von 25 Stunden/Woche (statt 20) und das nachgewiesen durch
  • EBM-Prüf- und Kalkulationszeiten, so dass das jahresdurchschnittliche Quartals-Solls abgerechneter Leistungen im Umfang von 255 Stunden erfüllt wird (statt bisher 204 Stunden) und eine
  • Versorgungsauftragsprüfung anhand der abgerechneten Fälle und der Gebührenordnungspositionen mit den Angaben für den zur ärztlichen Leistungserbringung erforderlichen Zeitaufwand

Mit dieser neuen Rechnung (Fallzahl + Kalkulationszeit) hätten 2017 von 2.298 Therapeuten bzw. Therapeutinnen 1.632 den Versorgungsauftrag nicht erfüllt! Bei Anwendung der Prüfzeit wären es noch 806 PT, die den Versorgungsauftrag nicht erfüllt hätten. Dies hätte weitreichende Folgen.
Würden die Mindestsprechzeiten in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen unterschritten, so hat die KV den betroffenen Arzt bzw. die betroffene Ärztin aufzufordern, umgehend die Anzahl der Sprechstunden entsprechend zu erhöhen oder den Versorgungsauftrag durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss zu beschränken. Es könne auch eine Kürzung durch den Zulassungsausschuss beschlossen werden, insbesondere, wenn kein rechtfertigender Grund für die Nicht-Erfüllung genannt werden könne.
Die Berechnung erntet verständlicherweise Kritik. So weisen Vertreter und Vertreterinnen der Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in einem Brief an Dr. Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf die Besonderheiten in Psychotherapie-Praxen hin:

  • Unrealistische Kalkulations- und Prüfzeiten
  • Nicht in Gebührenordnungspositionen abgebildete Arbeitszeiten
  • Unzulässigkeit der Vertretung bei genehmigungspflichtigen Leistungen und probatorischen Sitzungen
  • Kalkulationszeiten im Arztgruppenvergleich

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Vereinigung (ZI) hat Tool entwickelt, unter Einbezug von Behandlungszeiten, Fallzahlen und gemeldete Sprechzeiten („zur Verfügung stehen“), bei dem über 90% der Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen die Kriterien erfüllen. Ergeben sich Auffälligkeiten, wird eine Einzelfallprüfung vorgeschlagen.
Dennoch sei eher mit negativen Konsequenzen durch die Änderung der Kriterien der Überprüfung der Versorgungsaufträge zu rechnen. Die folgenden beiden Vorträge sollen Lösungsansätze im Umgang mit Nicht-Erfüllung von Versorgungsaufträgen bieten.
Erhöhung der Praxisauslastung: Handlungsoptionen
Eine Zusammenfassung/Erläuterung des Vortrags von Prof. Dr. Martin H. Stellpflug, MA (Lond.), Rechtsanwalt/Fachanwalt für Sozialrecht und für Medizinrecht.
Falls ein zu geringes Leistungsvolumen im EBM nach Prüfzeiten festgestellt wird und eine Erhöhung dieser nicht möglich ist, können folgende Lösungen in Betracht gezogen werden:

  • Leistungsveränderung/Sitzverlegung/ausgelagerte Praxisräume
    Bei der Sitzverlegung ist zu beachten, dass derzeit nur ein Wechsel von besser versorgten Planungsbezirken zu schlechter versorgten möglich ist oder im Planungsbezirk zu bleiben. Bei ausgelagerten Praxisräumen ist §24 Abs.5 Ärzte-ZV zu beachten: „(5) Erbringt der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz (ausgelagerte Praxisräume), hat er Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit seiner Kassenärztlichen Vereinigung unverzüglich anzuzeigen.“
  • Teilzulassung (Verzicht auf ¼ oder ½)
    Seit der Umsetzung des TSVG gibt es nun Zulassungen mit vollem (25h Sprechzeit/Woche), hälftigem (12,25h Sprechzeit/Woche) oder ¾ Versorgungsauftrag (18,75h Sprechzeit/Woche). ¼ -Sitze gibt es hingegen nicht. Ruhen/Verzicht sei eine Lösung, um mit dem Problem des geringen Leistungsvolumens umzugehen.
  • BAG/ÜBAG
    Schluss einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG, vormals Gemeinschaftspraxis). Die BAG tritt wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit auf. Auch, wenn für die BAG auch die Möglichkeit der Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung nach § 95 Abs 6 S 1 SGB V besteht, kann innerhalb einer Kooperation flexibler auf wechselnde Lebenssituationen reagiert werden kann. Achtung! Um einen Missbrauch dieser Gestaltungsmöglichkeiten zu verhindern, z. B. durch reine "Zählmitglieder" innerhalb der BAG, muss ein
    Vertragsarzt/eine Vertragsärztin kontinuierlich in nennenswertem Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, nachweisbar durch die lebenslange Arztnummer.
  • Job-sharing (BAG oder Angestellte/r)
    Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gelten folgende Leistungsobergrenzen: Entweder individuelles Volumen der letzten 4 Quartale zzgl. 3% des Fachgruppendurchschnitts oder bei 4 Quartalen unterdurchschnittlicher Abrechnungen 125% des Fachgruppendurchschnitts.
  • (Sicherstellungs-)Assistent/in
    Nach §32 Abs.2 Ärzte-ZV ist eine Assistenz für die vertragsärztliche Tätigkeit möglich. Dies ist möglich, wenn es sich um eine Aus- oder Weiterbildungsassistenz, eine Sicherstellungsassistenz, eine Assistenz während der Dauer einer Kindererziehung (bis zu 36 Monaten, muss nicht zusammenhängend erfolgen) oder eine Assistenz während der Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen in der häuslichen Umgebung (bis zu 6 Monaten) handelt. Achtung! Eine Vergrößerung der Praxis ist laut Gesetz nicht möglich: „(3) Die Beschäftigung eines Assistenten darf nicht der Vergrößerung der Kassenpraxis oder der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs dienen. In den Fällen der Beschäftigung eines Assistenten im Rahmen der Weiterbildung nach § 75a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch hat die Kassenärztliche Vereinigung im Verteilungsmaßstab nach § 87b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch festzulegen, in welchem Umfang abweichend von Satz 1 und § 87b Absatz 2 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch eine Vergrößerung der Kassenpraxis zulässig ist; bei der Festlegung ist insbesondere der von der Praxis zu zahlende Anhebungsbetrag nach § 75a Absatz 1 Satz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigen.“

Auslastung Kassensitz aus steuerlicher Sicht
Eine Zusammenfassung/Erläuterung des Vortrags von der Steuerberaterin Claudia Groth auf der Veranstaltung der PTK Berlin am 25.09.19

  • Teilverkauf eines Sitzes
    Wird ein Teil eines Sitzes (z. B. ½) gegen Entgelt abgegeben, wird dies steuerlich als laufender Gewinn betrachtet. Dies bedeutet, dass es sich um eine umsatzsteuerpflichtige Veräußerung handelt. In manchen Fällen fällt der Erlös aber unter die Kleinunternehmerregelung nach §19 UstG, bei der umsatzsteuerpflichtige Erlöse bis 17.500€/Jahr umsatzsteuerbefreit sind, wenn im Folgejahr voraussichtlich nicht mehr als 50.000€ durch umsatzsteuerpflichtige Einkünfte erwirtschaftet werden. Achtung! Umsatzsteuerpflicht im Folgejahr beachten!
  • (Gesamt-)Verkauf eines Sitzes
    Wird 100% des Sitzes gegen Entgelt abgegeben und die Praxis aufgegeben, gelten nach §34 EstG steuerliche Ermäßigungen: Sogenannte 1/5-Regelung oder ermäßigter Steuersatz von 56% des normalen Steuersatzes, aber mindestens 14%. Außerdem gibt es einen Steuerfreibetrag von 45.000€, wenn das 55. Lebensjahr vollendet ist oder eine Berufsunfähigkeit vorliegt. Vorsicht ist geboten bei der der Fortführung von Supervisionen und Privatpatienten sowie bei Betriebsvermögen (z.B. Arbeitszimmer oder Praxis in eigener Immobilie).
  • BAG
    Die BAG wird steuerlich als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrachtet. Sie ist eine Gemeinschaft u. U. mit unterschiedlichen Gewichtungen. Es werden eine Gewinnermittlung (EÜR) und Feststellungserklärung für BAG erstellt, Beteiligungseinkünfte werden dann in persönlicher ESt-Erklärung berücksichtigt.
    Im Unterschied zum Job-sharing sind in einer BAG beide selbständig tätig und eigenverantwortlich. Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge zahlt jede Partei der BAG für sich selbst. Die Einnahmen und Ausgaben (Gewinn) werden auf die Gesellschafter verteilt.
  • Job-sharing
    Der Praxisinhaber bzw. die Praxisinhaberin stellt einen Psychotherapeuten bzw. eine Psychotherapeutin mit normaler Gehaltsabrechnung an und muss alle Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers bzw. einer Arbeitgeberin erfüllen.
    Im Unterschied zur BAG bleibt der Anstellende als Senior bzw. als Seniorin zu 100% selbständig. Das Gehalt an den Angestellten bzw. die Angestellte wird als Betriebsausgabe gewertet und mindert den Gewinn. Im Krankheitsfall/bei Mutterschutz des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin muss der Lohn fortgezahlt werden.