Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.

Kosten-Nutzen-Verhältnis des neuen Qualitätssicherungsinstruments ambulante Psychotherapie fraglich

Modellprojekt braucht externe Evaluation

Positionspapier des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. sowie dessen Sektion Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten e. V.

Nach deutlicher Kritik im Vorfeld hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Januar einen Beschluss zur Änderung der Richtlinie zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (DeQS-RL) in der ambulanten Psychotherapie beschlossen. Qualitätssicherung in der Psychotherapie ist zweifelsohne notwendig – allerdings sind bereits umfangreiche Instrumente zur Qualitätssicherung und -entwicklung im Einsatz. Das geplante DeQS-Verfahren setzt auf eine umfangreiche post-hoc Befragung von Behandler*innen und Patient*innen sowie auf Sanktionen bei statistischen Auffälligkeiten und Nichterreichung von Schwellenwerten. Bei dem zu erwartenden hohen praktischen sowie finanziellen Aufwand des Verfahrens, stellt der VPP/BDP e.V. den tatsächlichen Nutzen und die methodische Fundiertheit in Frage und warnt vor Gefahren für die therapeutische Beziehung und die Patient*innenversorgung insgesamt. Der Verband begrüßt die geplante Erprobungsphase in der Modellregion NRW, weist aber auf die Notwendigkeit einer Evaluierung durch eine unabhängige Institution hin.

Braucht es eine weitere Qualitätssicherung?

Die neue datengestützte einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie (kurz QS Psychotherapie) soll das bisherige Antrags- und Gutachterverfahren ersetzen, so hat es der Gesetzgeber 2019 mit dem Psychotherapie-Ausbildungsreformgesetz festgelegt. Anders als das Gutachterverfahren, bei dem vor Einleitung einer Langzeittherapie eine individuelle am Patienten orientierte Prüfung auf Basis eines Fallberichts durchgeführt wurde, umfasst die neue QS Psychotherapie eine Befragung von Behandler*innen und Patient*innen am Ende einer erfolgten Psychotherapie und misst dabei überwiegend Indikatoren zur Prozessqualität.

Ambulant tätige Psychotherapeut*innen sind jedoch mit einem Studium und einer anschließenden postgradualen Ausbildung auf Fachärzt*innenniveau sowie regelmäßigen Fortbildungen bereits umfassend qualifiziert. Darüber hinaus sind bereits Qualitätsmanagementsysteme etabliert, die in den meisten Punkten über das geplante QS-System hinausgehen. Vom großen Krankenhaus bis zur Einzelpraxis müssen Qualitätsmanagementsysteme entwickelt und gepflegt werden, die qua Definition über die reine Sicherung von Mindeststandards hinaus gehen und die Messpunkte sowie die Beschreibung und Verbesserung von Abläufen ebenso adressieren wie die Zufriedenheit von Patient*innen, die regelmäßige Bilanzierung der Behandlung und die Erfassung von Behandlungsergebnissen. Im ambulanten Bereich werden diese QM-Systeme stichprobenartig durch die Kassenärztlichen Vereinigungen überprüft. Für die Berufsaufsicht der Psychotherapeut*innen sind außerdem die Psychotherapeutenkammern zuständig. Sie sind nicht nur Anlaufstelle bei Patient*innen-Beschwerden, sondern haben hier auch weitreichende Befugnisse im Bereich der maßnahmengeleiteten Intervention zum Schutz von Patient*innen, bei Regelverstößen im Zusammenhang mit psychotherapeutischen Behandlungen einzugreifen. Zudem unterstützen Psychotherapeutenkammern ihre Mitglieder mithilfe von Dokumentationsleitfäden ebenfalls dabei, Behandlungen korrekt und umfassend zu dokumentieren, dabei werden die meisten Punkte aus dem QS Psychotherapie bereits, in einigen Bereichen gehen die Vorgaben sogar deutlich darüber hinaus. Aus Sicht des Verbandes ist die Einführung eines zusätzlichen, derart kosten--, zeit- und ressourcenintensiven QS-Instruments daher nicht nachvollziehbar.

Risiken und Nebenwirkungen beachten!

Über den fraglichen Nutzen des neuen QS-Verfahrens hinaus, birgt es auch einige Risiken. Wie oben ausgeführt, liegt der Fokus des neuen QS Psychotherapie auf einer Überprüfung der Prozessqualität und hat damit einen anderen Ansatz als das bisherige Antrags- und Gutachterverfahren. Dieser Paradigmenwechsel hat zur Folge, dass Therapiekontingente nicht mehr vorab beantragt werden können. Das führt zu fehlender Planungssicherheit im Therapieprozess und birgt die Gefahr nachträglicher Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressforderungen.

Ein Blick auf die methodische Vorgehensweise des neuen QS-Systems wirft Fragen auf, beispielsweise bei der Wahl der Indikatoren. Die Zielorientierung und Validität der Ergebnisse bleibt abzuwarten und sollte kritisch begleitet werden. Aus gedächtnispsychologischer Sicht geben wir zu bedenken, die Erinnerungsfähigkeit von Patient*innen mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihre Grenzen stößt, wenn es etwa um die Beurteilung und Bewertung von teilweise mehrere Jahre zurückliegende Situationen wie die korrekte Aufklärung des Behandelnden zu Beginn einer Therapie geht. Bei einer solchen post-hoc Befragung ist davon auszugehen, dass die Beantwortung viel mehr etwas über die Zufriedenheit am Ende einer Behandlung, als über die korrekte Durchführung aller Prozesse aussagt.

Der zeitliche Aufwand für Behandelnde dürfte sich in der Realität als ein weiteres großes Problem darstellen. Im Rahmen der externen Überprüfung von bereits qualitativ guten Leistungen sollen zukünftig pro Patient*in 109 Fragen beantwortet werden. Schon jetzt besteht in Deutschland ein Versorgungsdefizit durch einen Mangel an Therapieplätzen. Das dürfte die therapeutische Versorgung weiter strapazieren.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Berücksichtigung der für einen Behandlungserfolg so zentrale Parameter der therapeutischen Beziehung zwischen Behandelnden und Patient*innen während der Entwicklung des QS-Verfahrens. Diese kann zum einen Einfluss auf die Bewertung der Patient*innen haben, zum anderen könnte das Wissen über die anstehende Kontrolle und der Zwang einer Quoten-Erfüllung eine negative Auswirkung auf die therapeutische Arbeit selbst haben. Das wiederum kann sich negativ auf den Behandlungserfolg auswirken und auch die Patient*innen-Befragung am Ende einer Befragung beeinflussen. Zudem besteht am Ende einer Behandlung bei einigen Patient*innengruppen die Befürchtung, dass diese schlechter Angaben machen können oder aufgrund komplexer, schwerer Störungen ein weniger gutes Ergebnis erzielt wird.

Hinter der Umstellung auf ein neues QS-Verfahren steckt vermutlich das Ziel der Einsparung finanzieller Mittel durch die Identifizierung vermeintlich qualitativ minderwertiger Therapien. Ob eine solche kostenintensive Vollerhebung (die es in keinem anderen somatischen Bereich gibt), mit umfänglichen Prüfungen und Berichten den gewünschten Nutzen erzielt, bleibt abzuwarten und wird von Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologinnen sowie dessen Sektion Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sehr kritisch gesehen.

Ist die Evaluation des neuen QS Psychotherapie in einem Modellprojekt sinnvoll!?

Vor dem Hintergrund der vielen begründeten Zweifel und Kritikpunkte am aktuellen Konzept des neuen QS Psychotherapie, hält der Verband eine Evaluationsphase durch ein Modellprojekt, für die sich das G-BA ausgesprochen hat, für ebenso begrüßenswert wie notwendig. Allerdings zeigen die Erfahrungen des bisherigen Prozesses, dass dieser nicht von großer Transparenz geprägt war. Bisher wurde der Berufsstand im Rahmen von Expert*innengruppen, Stellungnahme-Verfahren und Beteiligungs-Workshops zwar formal einbezogen, doch Anregungen und Argumente aus dem Berufsstand wurden  nur in einem sehr kleinem Umfang berücksichtigt. Für eine sinnvolle Bewertung aller Faktoren des neuen QS Verfahrens während der Modellprojekt-Phase beseht daher die absolute Notwendigkeit einer Evaluierung durch eine unabhängige Institution.

Wir fordern daher:

  • Die ergebnisoffene Evaluierung des Modellprojekts durch ein unabhängiges, in der Psychotherapieforschung erfahrenes Institut. Dabei müssen neben dem Nutzen für die Qualitätssicherung auch etwaige Versorgungseffekte und materielle wie immaterielle Kosten berücksichtigt werden.
  • Die im Rahmen des Modellprojekts und auch im weiteren Verlauf geplanten Kommissionen müssen transparent besetzt sowie die Kriterien für die Auswahl der Besetzung offengelegt werden.
  • Am Modellprojekt beteiligte Therapeut*innen müssen für den durch die Teilnahme entstehenden Mehraufwand und etwaige Einnahmeausfälle entschädigt werden. Außerdem müssen sie bei der technischen Umsetzung unterstützt werden.
  • Sollte sich im Rahmen des Modellprojektes herausstellen, dass Teile des DeQS-Verfahren oder das Verfahren als Ganzes keinen Mehrwert bringen, darf es keinen Roll-Out in der Fläche geben.
  • Es bedarf einer Klärung, welche Form des Antragsverfahrens es zukünftig geben kann, beziehungsweise auf welche Weise psychotherapeutische Kontingente bemessen und sichergestellt werden können.